Die Autorin Dagmar Margotsdotter-Fricke besuchte im September 2012 mit zwei Freundinnen eine matriarchale Familie aus dem Volk der Mosuo im chinesischen Dorf Shekua am Lugu-See. Die Erlebnisse dort ergriffen sie „mit Leib und Seele“.
Wir Frauen aus der westlichen Welt haben mehr als fünf Wochen am Feuer eines Klans gesessen, Herz an Herz mit den matriarchalen Menschen dort: das berührt,das bewegt. Das wirklich Andere bei den Menschen im Mutterklan in Shekua war schwierig zu entdecken, denn es verbirgt sich in dem so ungemein Gleichen desmenschlichen Zusammenlebens, dass es einer fast verborgen bleibt. Das Andere in Äußerlichkeiten lässt sich dagegen einfach finden: Die Art der Ernährung und Kleidung, die Wohnsituation und die Sanitäreinrichtungen - vieles ist anders. Doch was macht eine ganze Atmosphäre in der Familie/im Klan und im Dorf so anders? Sie sind so entspannt, so gesund und fröhlich, so zugewandt und fürsorglich, so bescheiden und immer auf das Gegenüber schauend.
Der matriarchale Alltag
im Dorf Shekua bei dem Klan unserer Gastgeberinnen, der rund achtzigjährigen Ku Me, ihrer Tochter Bing Ma und Enkeltochter Sadama bedeutete für uns, dass alles ganz normal wirkte und dennoch so grundsätzlich anders, sodass wir fremden Frauen aus dem Westen manchmal weinen mussten. Es machte mit uns so viel! Nehmen wir als Beispiel die Nächte, in denen die ungefähr 48jährige Bing Ma immer wieder mit einer ihrer Schwestern, Kiku oder Zahr, das Bett teilte. Sie quatschten und lachten die halbe Nacht, während wir daneben lagen, lediglich getrennt durch eine Wand aus Baumstämmen, und die grundsätzliche Einsamkeit in unserer Kultur um so mehr in uns fühlten: Wie undenkbar ist es doch für uns, als erwachsene Frauen das Bett mit einer erwachsenen Schwester, geschweige denn Kusine oder Fräundin zu teilen, nur um zu kuscheln und zu quatschen?! Erinnern wir uns an eine solche Nähe zu unseren Geschlechtsgenossinnen nicht höchstens noch aus Jugendtagen, mit unseren besten Fräundinnen? Wie sind wir so verlassen worden? Warum ziehen wir es vor, eher allein zu schlafen oder ab und zu oder immer das Bett mit einer fremden Person zu teilen (sog. Partnerinnen oder Partnern), anstatt mit Schwestern, Kusinen, Nichten und Fräundinnen? Was macht uns Frauen in unserer Kultur nur so einsam?
Wirtschaften zum Wohle aller
Nehmen wir dagegen das Dorf Shekua der matriarchalen Mosuo: Die gesamte Wirtschaft liegt in den Händen der Frauen/Mütter und ihrem Mutterklan. So, wie sie sich den
Tag teilen, teilen sie sich auch die Nacht und das Bett – wenigstens meistens - und damit das Leben. Dabei lenken sie die Geschicke der männlichen Wesen mit – zum Wohle aller eben. In der
scheinbar so banalen Frage: „Mit wem/welcher teile ich das Bett?“ liegt der Keim eines ganzen gesellschaftlichen Gefüges. Matriarchales ist in keiner Weise exotisch. Es ist eine Frage der
Bewertung und welchen Dingen wir Bedeutung beimessen. Wenn wir unseren inneren Schalter umlegen, dann wird aus der Banalität, dass sich Schwestern das Bett teilen, Politik: Hier, in der Nähe der
Frauen zueinander, liegt das Schicksal der Familien, des Dorfes, des Volkes. Auch bei uns. Auf diese Weise fehlt auch jegliche Art von Dominanz! Nirgendwo tritt ein Mann in einer vergleichbaren
Rolle als „Vater“ auf wie bei uns; nirgendwo stellen Männer „dem anderen Geschlecht“ nach. „Sexuelle“ Anspielungen sind bei den Mosuo verpönt. Begegnungen von Frau und Mann als Liebespaare werden
mit Diskretion behandelt. „Sexualität“ spielt im Alltag der Mosuo keine besondere Rolle. Verlangen und Lust sind da und alle wissen es, doch sie werden nicht benutzt und nicht
missbraucht.
285 Seiten, farb. Abb., broschiert, erschienen 2016, Christel Göttert Verlag, ISBN 9783939623595
Dagmar Margotsdotter schrieb während ihres Film-Aufenthalts bei den Mosuo ein berührendes Tagesbuch. Sie lässt uns teilhaben an der so völlig anderen Lebensweise in einem Mutterland, wo Grund und
Boden in den Händen der Frauen liegen. Damit weiß jedes Mosuokind von Geburt an, dass es eine sichere Heimat hat: den Mutterklan. Es gibt keine Frauenhäuser, keine Kinder- und Altenheime.
Fürsorge füreinander geht über alles. Matriarchale Menschen leben in existentieller Sicherheit. Um diese ureigene, mütterliche Grundstimmung zu dokumentieren, lebt die Autorin jedes Jahr mehrere
Wochen in einem befreundeten Mosuoklan am Lugu-See. Die vorliegenden Aufzeichnungen stammen von ihrem ersten Aufenthalt dort. In ihrem Buch reflektiert sie ihre Erlebnisse ohne patriarchös
gefärbte Brille. So gelang es ihr in einzigartiger Weise, ihren Leserinnen die Atmosphäre in einer matriarchalen Gemeinschaft nahezubringen.
Dagmar Margotsdotter-Fricke: Dich liebt die Welt. Geschichten aus dem Mutterland
46 Seiten, Bilder von Ulrike Loos, geheftet, Christel Göttert Verlag, 2014, ISBN 9783939623472
Von ihren Reisen und Begegnungen mit Frauen aus matriarchalen Völkern hat Dagmar Margotsdotter-Fricke fünf berührende Geschichten aus unserer Zeit mitgebracht, die einen Blick in eine Welt verschaffen, in der Mütterlichkeit das Leben bestimmt. Gute Impulse für Mütter und Töchter schenkt die aufrüttelnde Erzählung „Töchter wie süßer Reis“. Eine natürlich weibliche Verbundenheit mit Mutter Erde mitten in einer westlichen Großstadt können wir in „Steingesang“ wunderbar nachempfinden. Ein Büchlein, das viel Weisheit in sich hat und dessen Worte und farbenfrohe Bilder der Malerin Ulrike Loos ans Herz gehen.
136 Seiten, farb. Abb., broschiert, 2016, Christel Göttert Verlag, ISBN 9783939623533
Aus der Abschlussarbeit der jungen Autorin wurde eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Familienformen. Sie verdeutlicht, was beide Modelle an Belastungen oder Chancen bedeuten. Mit der Matriarchats-Dokumentarfilmemacherin Uschi Madeisky und ihrer Mutter, der Labyrinth-Künstlerin Li Shalima, diskutiert Fricka Langhammer die Frage, wie alternative Lebensformen mit positiven matriarchalen Werten heute gelebt werden können. Ein guter erster Eindruck von einer matriarchalen Lebensweise
Der ungekürzte Beitrag erschien in MatriaVal Nr. 20, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
von
MatriaVal e. V., www.matriaval.de