Lichtblicke im heilsamen Mutter-Kind-Haus

Mütter und ihre Kinder, die vor gewalttätigen Männern fliehen müssen und alles verloren haben, finden im Münchner Horizont-Haus eine neue Perspektive. Gebaut hat es die Schauspielerin Jutta Speidel mit ihrem 1997 gegründeten Verein. Für ihr Engagement bekam sie viele Preise verliehen, darunter das Bundesverdienstkreuz. Jutta Speidel wirkt auf mich wie eine typische Widder-Frau: Sie ergreift gerne die Initiative, vertritt ihre Meinung und redet nicht „um den heißen Brei“. Sie ist spontan, authentisch und natürlich, so wie ihr Gesicht, das sie auch nicht vom Schönheitschirurgen verändern lassen möchte. Sie steht zu sich – und gewinnt damit noch mehr persönliche Ausstrahlungskraft und die Sympathie ihrer Mitmenschen. Das angeregte Gespräch mit Jutta Speidel führte Ursula Fournier. 

Frau Speidel, Sie setzen sich mit großem persönlichen Einsatz für Mütter ein, die mit ihren Kindern vor gewalttätigen Männern fliehen mussten. Was bewegt Sie innerlich dazu?

Damals, als ich den Verein gegründet habe, sah ich die Notwendigkeit. Inzwischen ist Horizont ein großes eigenständiges Projekt. Einer der Hauptmotoren bin ich. Gott sei Dank habe ich ein ganz tolles Team an meiner Seite. Ohne die Verteilung der Aufgabengebiete wäre es nicht machbar. In unserem Büro arbeiten vier Damen und in unserem Haus haben wir dreizehn Mitarbeiter.

 

Sie sind selbst Mutter von zwei Töchtern. Als Schauspielerin waren sie zusätzlich immer berufstätig. Wie haben Sie den „Mütter-Spagat“ erlebt?

Inzwischen sind meine Töchter erwachsen. Damals bei der Gründung von Horizont waren sie es noch nicht. Als die Kinder ganz klein waren, nahm ich sie immer mit. Ich habe versucht, in München oder wenigstens im Umkreis Arbeit zu finden, damit ich nicht so lange weg war. Durch die Fernseh-Serien und meine Arbeit am Theater war das möglich. Später hatte ich – leider – mehrere Kindermädchen, zwei davon jedoch für sehr lange. Natürlich hatte ich es besser als viele berufstätige Mütter mit einem Acht Stunden – Job. Es gab auch viele Tage, an denen ich zu Hause war. Meine Kinder sagen mir heute, sie hätten mich sehr bewusst erlebt. Ich war keine Mutter irgendwo in weiter Ferne.

 

Zeit für unsere Kinder zu haben, gehört zu den wichtigsten Dingen, die wir unseren Kindern schenken können.

Das war mir sehr wichtig. Ich setze ja keine Kinder in die Welt, um sie von anderen erziehen zu lassen. Ich hatte das Glück, dass meine Kindermädchen sehr liebenswert waren und mit mir an einem Strang gezogen haben.

 

Mütter bekommen nur wenig Anerkennung für ihre für die Gesellschaft so wichtige Arbeit in der Familie. Haben Sie das als Mutter auch erfahren?

Dafür bin ich ein schlechtes Beispiel. Wissen Sie, ich war zwar zehn Jahre verheiratet, aber mein Mann lebte 500 Kilometer von mir entfernt, weil er den elterlichen Betrieb leitete. Als meine Kinder in die Schule kamen, konnten wir nicht mehr so oft hin und her pendeln. Dadurch führte ich eine Wochenend-Ehe. Aber mein damaliger Mann war ein ganz toller Vater, der auch gerne mit in der Küche geholfen hat. Ich war immer unanhängig und habe mein eigenes Geld verdient. Die Frauen im Horizont-Haus hingegen sind aus allem herauskatapultiert worden. Sie haben gar keine Anerkennung mehr. Das fängt damit an, dass ihre Problematik oftmals auf eine Gewaltbeziehung zurückzuführen ist. In vielen Familien herrscht auch bittere Armut.

Ich habe gelesen, dass Sie empört waren, als Sie mit eigenen Augen gesehen haben, wie schäbig Mütter und Kindern untergebracht wurden, die keine eigene  Wohnung mehr hatten. Allgemein besteht immer noch sehr oft das Vorurteil, Mütter, die Unterstützung benötigen, seien „Sozialschmarotzer“. Bei einer Umfrage sprachen sich erschreckend viele Leute gegen Frauenhäuser aus. Wie reagieren Sie auf solche uninformierten Klischees?
Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, dass wir Aufklärung betreiben, egal ob es sich um ein Frauenhaus oder ein Mutter-Kind-Haus wie unseres handelt. Allein die Tatsache, dass ich Horizont gegründet und das Thema „Obdachlosigkeit von Müttern und Kindern“ in die Gesellschaft getragen habe, hat viel dazu beigetragen. Dass du immer wieder mit Menschen konfrontiert bist, die Vorurteile haben und damit überhaupt nicht umgehen können, das lässt sich in einer Welt, die voller Vorurteile ist, nicht ändern -  wo jeder versucht, zu seinem Recht zu kommen und zu dem, was ihm wichtig ist. Ich sehe das als ständige Aufgabe.  
 
Wenn wir Menschen in unser Haus einladen, geht danach niemand mehr unbeeindruckt hinaus. Welches Urteil er davor auch gefällt hatte, danach sieht er es anders. Wenn man so ein Projekt in Angriff nimmt, muss man sich von den Vorurteilen der anderen frei machen. Man muss wie ein Prophet herumgehen, wenn man etwas verändern möchte. Und darum geht es doch. Ich habe mit Horizont innerhalb Deutschlands sehr viel erreicht, weil vorher kaum einer darüber geredet oder Geld gegeben hat. Der Staat hat das Problem unter den Tisch gekehrt mit dem Argument, bei uns bräuchte niemand auf einer Parkbank schlafen. Trotzdem muss ich mich auch nach vielen Jahren immer noch um neue Spender kümmern. Aber ich glaube, es hat sich viel getan. Die Städte haben alle mitgezogen, weil sie gemerkt haben, da gibt es ein Projekt in München, das bessere Resultate erzielt. Denn damit, dass man die Mütter von der Strasse holt, ist es nicht getan. Wir müssen uns darum kümmern, dass die Frauen wieder im Leben stehen können. Das geht nur, wenn wir uns ernsthaft mit ihrer Problematik beschäftigen.
 
Viele Mütter, die zu Ihnen ins Horizont-Haus kommen, sind vermutlich schwer traumatisiert. Und ihr Selbstwertgefühl ist ganz am Boden.
Da haben Sie Recht. Genau so ist es.
 
Aus Kinder-Sicherheitstrainings beispielsweise wissen wir, dass ein gesundes Selbstwertgefühl die Basis für den Selbstschutz ist. Wie begleiten Sie im Horizont-Haus Mütter und Kinder auf diesem Weg?
Wir gehen auf die individuelle Problematik der Mütter ein. Durch unsere Therapien -  zum Beispiel unsere Kunsttherapie - werden viele Traumatisierungen erkannt. Sie wissen auch sehr schnell, ob Sie ein Kind vor sich haben, das sexuelle Übergriffe erlitten hat. Die therapeutische Begleitung gehört bei uns dazu. Ebenso wie die Unterstützung der Mütter bei ganz alltäglichen Dingen wie zum Beispiel der Durchführung einer Scheidung. Manchmal haben die Frauen auch noch eine Familie im Hintergrund, in der erst einmal viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, damit wieder Frieden einkehren kann.
 
Sie bieten den Mutter-Kind-Familien, die ihr Zuhause verlassen mussten, ein geschütztes Haus. Die Familien bekommen sogar eine eigene kleine Wohnung, in der sie bis zu achtzehn Monaten bleiben können, anders als in Frauenhäusern.
Wir haben einen anderen Ansatz. Es ist ein sehr ausgeklügeltes Projekt, das allen Familienmitgliedern genug Rückzugsmöglichkeiten bietet. Das ist kein „Luxus“, sondern eine Notwendigkeit. Sie haben sicherlich bei sich zu Hause auch einen Platz, wo Sie sagen können: „Das ist meine Ecke“.
Damit schenken Sie den Müttern Anerkennung und Würde.
Ja. Ein schönes Wort.
 
Wir kennen Frauenhäuser, wo die Mütter mit ihren Kindern sehr beengt in einem kleinen Raum und nur für sehr kurze Zeit untergebracht werden können. Sie wohnen mit vielen anderen Frauen und Kindern auf einer Etage zusammen und teilen sich eine Gemeinschaftsküche und manchmal auch die Bäder. Sie finden wenig Ruhe.
Genau aus diesem Grund habe ich das Horizont-Haus gebaut. Einen Ort, wo Mütter und Kinder zur Ruhe kommen und wirklich gesunden können. Als wir der Stadt München, mit der wir einen 15-Jahres Vertrag geschlossen haben, die Pläne für das Haus vorgelegt haben, wurde ich gefragt, warum die Mutter-Kind-Familien bei uns so „große“ Wohnungen bekommen. Sie würden doch verwöhnt. Aber genauso, wie ich es konzipiert habe, ist es richtig. Bei uns können die Kinder in Ruhe die Hausaufgaben machen, während die Mutter kocht und sich in ihrer Küche richtig ausbreiten kann. Sie haben ein großes Bad für sich. Die Kinder haben ein eigenes Zimmer und die Mutter auch. Sie sind nicht zusammengepfercht. Jeder kann sich auch mal zurückziehen. Wissen Sie, die Frauenhäuser, die meistens vom Staat bezahlt werden, können sich das gar nicht erlauben - aber sie leisten dennoch hervorragende Arbeit. Die Frauen können dort jedoch maximal drei bis sechs Monate bleiben. Was Horizont darüber hinaus bietet, kostet sehr viel Geld, das ich jeden Monat auftreiben muss. 
 
Wie können Frauen in Not zu Ihnen finden?
Über das Wohnungsamt, andere Frauenhäuser oder die Polizei, wenn sie in akuter Gefahr sind. Dafür haben wir auch Notunterkünfte. Wir klären jedoch ab, ob wir die Bedrohung mittragen können, denn wir müssen auch die anderen Familien im Haus schützen. Auch wenn Suizidgefahr besteht, müssen wir das Risiko abwägen, da wir keine ausreichende Betreuung für solche Situationen haben. Das gleiche gilt für Drogen- oder Alkoholprobleme. Frauen können auch bei uns im Büro anrufen und mit uns sprechen.
 
Das aktuelle Familienrecht gibt auch gewalttätigen Vätern ein Umgangsrecht mit ihren Kindern. Ich hörte von Frauenhäusern, die ihre Anonymität verlieren, weil sie gerichtliche Umgangsregelungen gestatten müssen. Sie dürfen den Aufenthaltsort der Kinder vor den umgangsberechtigten Vätern nicht geheim halten. Wie wird das im Horizont-Haus gehandhabt?
Bei uns gibt es eine Hausordnung, die ganz klar besagt, dass jede Mutter die Aufgabe hat, auch ihre Mitbewohnerinnen zu schützen. Wir haben Fälle, in denen Kinder Umgang haben, aber die Väter kommen auf keinen Fall ins Haus hinein. Wir haben eine Doppelpforte, an der sich jeder anmelden muss. Wenn von einem Vater Gefahr ausgeht, wird das auf jeden Fall mit unserem Fachpersonal besprochen. Hundertprozentige Sicherheit können jedoch auch wir nicht bieten. Wenn eine bedrohte Mutter-Kind-Familie zu uns kommt und die Frau erklärt, sie müsse vor ihrem Mann geschützt werden, und ein paar Tage später gibt sie ihm die Adresse von unserem Haus …
 
Sie sind im Augenblick sehr eingespannt. Sie erwähnten ein neues Buch und es gibt auch einen neuen Film mit Ihnen. Verraten Sie uns noch kurz, worauf wir uns bei der Künstlerin Jutta Speidel demnächst freuen dürfen?
Ich schreibe an meinem zweiten Reiseerlebnis-Buch mit dem Titel „Zwei Esel auf Sardinien“. Im ersten erzählten wir von unserer Radtour über die Alpen. Diesmal sind wir auf Sardinien. Was uns dort alles passiert, kann man ab Juni lesen. In Hamburg drehe ich jetzt einen Film, der „Einmal Veddel und zurück“ heißt – eine etwas hintergründige Culture –Klatsch - Geschichte.  
 
Frau Speidel, ich wünsche Ihnen weiterhin soviel Schwung und Kraft für all Ihre Projekte und danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie sich für dieses Gespräch Zeit genommen haben. 
 
Weitere Informationen unter www.horizont-ev.org

UF/Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Jutta Speidel, Horizont e. V.