Natürliche Pädagogik

Die „Natürliche Pädagogik“ schließt an die Montessori-Tradition und die Wild-Pädagogik an. Die Begründerin und Pädagogin Ingrid Schlögel erweiterte sie um eine zeitgemäße Integration von Spiritualität im Umgang mit den Kindern. Damit meint sie vor allem das Wissen um die Seelenentwicklung eines Menschen. Sie schildert uns die Grundzüge dieser neuen Kinderbegleitung.

 

Menschen, die im privaten und im beruflichen Umfeld mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, müssen über deren emotionale, körperliche, intellektuelle und soziale Entwicklung Bescheid wissen. In der heutigen Bewusstseinsentwicklung, die im kollektiven Denken gerade stattfindet, sind die Erwachsenen dazu aufgefordert, auch die spirituelle Dimension in ihr Handeln mit einzubeziehen.

 

Unsere Kinder fordern uns geradezu heraus, das zu tun. Sie sind uns nämlich häufig in ihrer Seelenentwicklung schon einen großen Schritt voraus. Wir sehen das daran, dass es so viele Bezeichnungen gibt: Indigokinder, Kristallkinder, Regenbogenkinder, Legastheniker, ADHS und ADS-Kinder und wie sie alle heißen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie in irgendeiner Weise auffällig sind, besondere Potenziale haben und unser Denken auf den Kopf stellen oder zumindest erweitern.

 

Wollen wir sie nicht allein damit lassen, hilft es uns (und ihnen), auf die Dominanz unseres Verstandes zu verzichten und unser Herz sprechen zu lassen. Dann sehen wir, wie jedes dieser Kinder auf seine Art einen Weg sucht, sich in dieser teilweise sehr unharmonischen Welt zurechtzufinden. Tun wir das nicht, sind unsere Kinder dem rasant steigenden Druck und dem Unverständnis unserer Institutionen ausgeliefert und entwickeln eine Menge psychosomatischer und seelischer Störungen. Sie beginnen, sich in Frage zu stellen, sich als krank wahr zu nehmen. Womöglich ist der Kontakt zu ihrer eigenen inneren Wahrheit oft jahrelang gestört.

 

Mütter und Väter spüren einerseits genau, was ihr Kind brauchen würde, andererseits müssen sie den Anforderungen von Kindergarten, Schule und Gesellschaft gerecht werden. Verunsicherung ist daher an der Tagesordnung. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist die klare Hinwendung zur Priorität des Herzens in unserem Handeln. Gelebte Spiritualität – egal auf welchem Weg und in welcher Tradition – zielt auf das Verwirklichen von Liebe, Mitgefühl und Weisheit und das mystische Erleben von Verbundenheit und Geborgensein im Göttlichen, der Schöpferkraft.

 

Mit dem Herzen sehen

Leben wir also eine eigene Spiritualität, können wir dem Leben vertrauen und somit auch der Entwicklung unserer Kinder. Wir hören auf, alles kontrollieren zu wollen und machen die Erfahrung, dass uns das Leben in seiner unendlichen Weisheit unterstützt – mit Geschenken und Herausforderungen. Wir sind alle hier, um zu lernen und Erfahrungen zu machen. Kategorien wie Selbstverurteilung bei Fehlern, immer der/die Beste sein wollen, die Abwertung anderer, Schuldgefühle etc. fallen einfach weg. Vielmehr erkennen wir die Liebe in allem Lebendigen.   Natürliche Pädagogik wendet dieses Wissen an und schult uns darin, unsere Kinder mit dem Herzen zu sehen. Während der Verstand einteilt, urteilt, trennt und wertend vergleicht, nimmt das Herz die Schönheit und das Potenzial in allen Dingen wahr. Es kann die Wahrheit erkennen und deshalb auch unterscheiden, was dem Leben dient und was nicht. Es kann fühlen und hat Zugang zu unserem Körperwissen, der Intuition. Dadurch ist uns eine Klarheit zugänglich, die der Verstand allein nicht finden kann. Herzenskraft ist dem Verstand überlegen.

 

Vertrauensvolle Begleitung unserer Kinder

Aus dieser Haltung heraus können wir das Kind in seiner individuellen Ausprägung und mit seinen speziellen Gaben erkennen und seine Potenziale erahnen. Deshalb können wir seine Interessen fördern, ohne eigene Wünsche oder Vorstellungen auf es zu projizieren. Wir vertrauen dem Entwicklungsgeschehen, das von der Seele gesteuert wird, und begegnen dem Kind oder Jugendlichen mit Respekt. Wir greifen nicht vorschnell in Prozesse ein, nur weil wir Angst bekommen oder ungeduldig werden. Wir gönnen den Kindern ihre Zeit zum Reifen.

Wir schaffen innere und äußere Räume, in denen sich die Kinder entfalten können. Denn sie wollen ihre Kreativität und ihre Phantasie ausleben und ausdrücken und ihren Gestaltungsdrang leben. Sie wollen ihre eigenen Erfahrungen machen, um ihre Eigenständigkeit zu entwickeln. Sie wollen vieles ausprobieren und ihrer Neugier und ihrem Forschergeist folgen. Auch Sackgassen sind dabei äußerst interessante Wege. Wenn Kinder ihrem eigenen Rhythmusfolgen und ihren inneren Impulsen nachgeben können, bleiben sie in Verbindung mit ihren Bedürfnissen, bekommen eine sichere Selbsteinschätzung und werden selbstverantwortlich. Wir muten ihnen ihre eigenen Gefühle zu und erlauben ihnen, sich um ihre seelische Balance zu kümmern. So entwickeln sie emotionale Tiefe und Stabilität und lernen Mitgefühl mit anderen Lebewesen. Daraus entwickelt sich eine hohe soziale Kompetenz, die nicht extra geübt werden muss. Die Kinder werden gemeinschaftsfähig und pflegen stabile Beziehungen.

 

Erdung durch Spielen in der Natur

Am besten gelingt dies im freien Spiel; dem Urspiel des Kindes, das viel mehr Bedeutung hat, als wir annehmen. Jedes von uns angeleitete Spiel ist weniger kraftvoll und ursprünglich, weil es nicht aus dem Moment und aus der Authentizität des Kindes heraus entsteht. „Ich spiele, also bin ich“, könnte der kindliche Leitsatz sein – und wir sind gut beraten, dieses spontane Spiel des Kindes nicht mit erwachsener Besserwisserei zu stören.

Das freie Spiel läßt sich am besten in der Natur verwirklichen. Hier ist alles im Überfluss vorhanden und alle haben genug Platz. Es gibt unterschiedliche sensomotorische Anregungen und undifferenziertes Material, um die Phantasie anzuregen. In der kostbaren Stille machen die Kinder natürliche Erfahrungen mit Grenzen, üben Achtsamkeit und sind auf allen Ebenen gleichzeitig gefordert. Außerdem weckt das Spielen in der Natur Ur-Erinnerungen daran, wo wir alle herkommen. Diese Erfahrungen helfen, sich zu erden.

Diese Dynamiken passieren aber nur, wenn wir Erwachsene entsprechende Rahmen schaffen können. Es geht nicht, dass wir die Kinder sich selbst überlassen – das wäre ein grobes Missverständnis von natürlicher Entwicklung. Im Gegenteil erfordert es ein hohes Maß an Wahrnehmungsfähigkeit und liebevollem Einfühlungsvermögen. Zuhören mit dem Herzen ist eine hohe Kunst, denn es bedeutet, dass wir hören können, was sich hinter den Worte verbirgt, und selbst Klarheit über unsere eigenen Emotionen haben. Unser eigenes „Inneres Kind“ sollte integriert sein. Wir müssen außerdem ein gewisses Maß an Gelassenheit entwickeln und uns an unser Urvertrauen erinnern, anstatt die Kinder ständig ängstlich zu beobachten.

 

Sein lassen

Natürliche Pädagogik appelliert an Eltern und Erziehungspersonen, Kinder sein zu lassen. Das Tun kann daraus entstehen. Das heißt auch, dass wir unser Gefühl der Wichtigkeit zurücknehmen und eine gewisse Kontrolle aufgeben. Kinder weisen uns mit ihren Eigen-Arten den Weg, auf dem wir selbst mitwachsen müssen, um sie optimal zu begleiten.

Andererseits brauchen Kinder klare Grenzen und Regeln, das heißt, wir müssen uns darüber klar sein, welche grundlegenden Werte wir den Kindern vermitteln wollen. Nur so können sie sich sicher fühlen.

 

Diese Herzenspädagogik schafft für alle ein heilsames Feld, in dem jede und jeder sich gesehen und gehört fühlen kann und Kämpfe aufhören. Erwachsene sind Vorbilder für Wertschätzung und Anerkennung, Achtsamkeit und Ehrlichkeit. In dieser Atmosphäre können alle natürlichen Fähigkeiten gelebt werden – ein Grundrecht des Menschen. Die Seele möchte sich auf ihre individuelle Art ausdrücken und sich an die Gemeinschaft verschenken – zum Wohl aller.

 

Lesetipp

Ingrid Schlögel: Natürliche Pädagogik. Mit Kindern von heute in Liebe wachsen (Param Verlag, ISBN 9783887554057)

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.ingrid-schloegel.de

 

ISch/UF/Fotos: mit freundicher Genehmigung von Ingrid Schlögel