Die Wiederentdeckung des Mutterrechts

Selten war das Wort „Mutter“ so umstritten  wie heute. Ja, das Wort „Mutter“ gilt fast als politisch unkorrekt, mindestens aber als veraltet. „Mutter“ muss in linken und/oder feministischen Kreisen bis hin zu den Grünen „Frau mit Kind“ heißen. Das Wort „Muttersprache“ wurde offiziell in „Herkunftssprache“ geändert und erhielt damit einen völlig anderen Sinn. Baden Württemberg fördert keine Mutterzentren mehr, nur noch „Eltern- oder Familienzentren“. Die ursprüngliche Idee, Mütter im Zentrum, wird jetzt ausdrücklich abgelehnt. 

 

Doch wie gestalteten sich die letzten 120 Jahre für Frauen, wenn wir sie aus mutterzentrierter und mutterrechtlicher Sicht betrachten? Um 1900 war das Mutterrecht entdeckt worden. Der Schweizer Jurist Johann Jacob Bachofen hatte festgestellt, dass bei den alten Griechen die Mütter die führenden Kräfte waren - Königinnen, Priesterinnen, Wissenschaftlerinnen. Vererbt wurden Namen, Land und Besitz von den Müttern an die Töchter. Sein Buch „Das Mutterrecht“ versetzte die westliche Welt in Aufruhr. Überall wurden nun lebendige Gesellschaften gesucht und dokumentiert, welche eine andere Stellung der Frau kannten als unsere Kultur. Mythen wurden ebenso erforscht wie lebende Völker: Trobriander in der Südsee, Irokesen in Amerika, Arkan in Afrika und viele mehr. Das Patriarchat mit seinem uneingeschränkten Vaterrecht geriet in Rechtfertigungsnot. Bis dahin hatte das Patriarchat, die Herrschaft der Väter, angeblich „gottgegebene und ewige“ Existenzberechtigung.  

Ein Bund für Mutterrechte

1903 verlangte Ruth Bré das Recht zur freien Mutterschaft. Ein Kind gehöre immer zur Mutter. Eine Mutter mit Kind müsse immer und unbedingt gefördert werden, auch ohne Heirat, ohne vaterrechtliche Ehe. Sie gründete den „Bund für Mutterrecht“, welcher in kürzester Zeit Tausende von Mitgliedern fand. Um 1915 trieb der erste Weltkrieg die Herrschaft der Väter auf die Spitze. Als der Krieg verloren war, brach eine Epoche an, in der das Patriarchat wieder in Frage gestellt wurde. Die Frauen/Mütter errangen sich das Wahlrecht,  sie hatten nun schon lange bewiesen, dass sie fähig waren, die ganze Nation zu tragen. Neben den Patrioten und Patriotinnen gab es jetzt die Matriarchistinnen und Matriarchisten, zwischen denen der Kampf vollends entbrannte, als Siegmund Freud seine Psychoanalyse bekannt machte. Freuds Ziel war es, besonders mit der Beschreibung des Ödipuskomplexes, den Mann als Vater zu rehabilitieren. Er beschrieb den Vater als Kulturbringer, als zentrale Figur im Leben eines Kindes - ja, eines jeden Menschen, einer jeden Gesellschaft. Gleichzeitig wies der Anthropologe Bronislaw Malinowski in seinem Aufsatz „Mutterrechtliche Gesellschaften und der Ödipus-Komplex“ nach, dass es in mutterrechtlichen Gesellschaften keinen Ödipus-Komplex gibt.  

Erste Rückschritte

Zwischen 1930 bis 1945 musste eine Frau Kinder gebären oder sie durfte nicht – bis hin zur Zwangssterilisation. Der sogenannte Mutterkult war nichts anderes als ein Vater- und Führerkult, in dem die Frau zur Gebärmaschine wurde. Nach 1945 entstand das Phänomen der Hausfrauenehe: Vater, Mutter und zwei Kinder. Für die Frau gab es eheliche Pflichten wie Sex und Kinderkriegen, und wenn eine Frau/Mutter sich scheiden lassen wollte, herrschte das Schuldprinzip. Das Thema Mutterrecht war durch den Krieg aus dem kollektiven Bewusstsein ausgelöscht. Es gab eine Menge unehelicher Kinder – zeitweilig regional bis zu 50 Prozent (laut Wikipedia). Die sogenannten Onkelehen entstanden – ein abfälliger Begriff.

 

Neustart der Frauenbewegung

Erst um 1960 formierte sich die „Frauenbewegung“. Mit ihr tauchte das verloren gegangene Wissen von mutterzentrieren, mutterrechtlichen Gesellschaften wieder auf. Wieder reisten Frauen und einige Männer zu matriarchalen Völkern. Besonders berühmt wurden damals die Hopi-Indianer. Doch die Frauenbewegung spaltete sich früh in den Gleichheitsfeminismus und den Differenzfeminismus. Die jungen Frauen, welche die Bewegung in Gang gesetzt hatten, wollten sich nicht als Mütter bzw. Ehe- und Hausfrauen verstehen.  Um 1975 kam das Thema Mutter wieder auf. Jean Liedloff hatte bei den matriarchalen Yequana-Indianern in Venezuela gelebt. In ihrem berühmten Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ stellte sie erstaunliche Dinge in den Mittelpunkt: das Getragenwerden als Baby und andere mütterliche Handlungen. Für die junge französische Ärztin wurde diese Mütterlichkeit als Quelle des glücklichen Lebensgefühls eines jeden Menschen sichtbar. Frédérik Leboyer propagierte „Die sanfte Geburt“, und „Das Große Stillbuch“ von Hannah Lottrop machte das Stillen wieder modern. Die Hausfrauengewerkschaft wurde gegründet, die Lohn für Hausarbeit forderte. Ehefrauen erreichten, dass sie selbst Konten eröffnen und Arbeitsverträge abschließen durften - allerdings unter der gesetzlichen Bedingung, dass es der Familientätigkeit nicht abträglich war. Im Scheidungsrecht wurde das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt. Das Unterhaltsgesetz wurde zugunsten der Frauen radikal verbessert und eine Mutter erhielt automatisch das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder. 1980 entstanden die Mütterzentren - Mütterorte, mütterliche Orte. 

Radikale Rückschritte

Um 1990 erreichte die sogenannte „Väterbewegung“, die aus wenigen radikalen Männern besteht, dass sich das Rad des Mutterrechts wieder zurückdrehte. Das alleinige Sorgerecht für Mütter wurde abgeschafft. Bis 2005 wurde das „gemeinsame Sorgerecht“ eingeführt, das nun automatisch in Kraft tritt. Außerdem wurde das Unterhaltsgesetz gegenüber der Frau, ob Mutter oder nicht, erheblich verschlechtert, so dass eine Mutter nach der Scheidung häufig völlig mittellos dasteht. Das Heer von alleinerziehenden Frauen mit Kindern, Müttern also, wächst immer noch, ebenso wie die Zahl der Harz IV-Empfängerinnen. Am 23.10.2017 meldete die Bertelsmann-Stiftung: Noch nie waren so viele Kinder so arm, wie heute. Alleinerziehende haben ein spürbar erhöhtes und rasch zunehmendes Armutsrisiko, über 91 Prozent davon sind Mütter.

 

Seit dem Jahr 2013 erhält jeder erfolgreiche „Keimzellen-Überträger“ – vom liebenden Softie bis hin zum gewalttätigen Macho – nun auch ausdrücklich gegen den Willen der Mutter das Sorgerecht. Wenn sie nicht mit dem biologischen Vater und/oder Vater Staat „kooperiert“, wie es heißt, wird ihr „mangelnde Erziehungsfähigkeit“ und „fehlendes Wohlverhalten“ unterstellt und das Kind weggenommen. Auch Gefängnis droht ihr bei „Kindesentzug“. Immer häufiger wird aufgrund von Gutachten entschieden, dass die Kinder einer Mutter beim biologischen Vater aufwachsen sollten, wenn dessen ökonomischen Verhältnisse besser sind als die der Mutter. Dass dies fast immer der Fall ist, ist bekannt. Er nimmt sich dann eine neue Partnerin - und schon sind die Kinder per Familiengericht einer kerngesunden, liebenden Mutter weggenommen.

   

Das politisch angestrebte Zukunftsmodell ist das „Wechselmodell“. Kinder von getrennten Eltern leben halbe-halbe bei jedem Elternteil. Unterhalt fließt dann gar nicht mehr zur Mutter. Beide Elternteile sollen gleichverpflichtet einer Vollbeschäftigung nachgehen. Das Kind wächst in Institutionen auf. Mütter werden neutralisiert und politisch abgeschafft. Der neueste Slogan lautet „Sozialpolitik vom Kind her denken“, schreibt die Bertelsmann-Stiftung. Vater Staat schaut aufs Kind und an den Müttern vorbei. Zurück zum Vaterrecht unter dem Deckmantel von in Aussicht gestellter Gleichberechtigung und angeblichem „Kindeswohl“.  

Zukunftsvision für Mütter

Frauen hoffen spätestens seit der Frauenbewegung, die Männer kämen mit ins Boot. Doch die „Gleichverpflichtung“ wird von der großen Mehrheit der Männer nicht angenommen, wie auch die jüngste Studie aus Schweden zeigt: „Nur wenige Männer übernehmen als Väter mehr als das vom Staat geforderte Minimum (…) Den Rest erledigen die Frauen, bis sie selbst buchstäblich „erledigt“ sind“ (Carsten Schmiester, ARD Studio Stockholm, „Die Gleichberechtigungs-Lüge“, 12.10.17). Verständlich, dass die jungen Frauen keine Lust haben, nahezu allein für Kinder verantwortlich zu sein; dass sie von Männern erwarten, dass sie sich genauso für den Nachwuchs einsetzen wie sie selbst als Mütter; dass sie hoffen, wenn Väter und Mütter durch das Wort „Eltern“ gleich gemacht wurden, Männer dann mehr motiviert seien, bei der Familienarbeit mitzumachen; dass sie genauso an Karriere und Geld teilhaben wollen, wie Menschen männlichen Geschlechts - mit oder ohne Kinder; dass sie deshalb genauso sein wollen, wie Männer, weil jeder Unterschied zwischen Frau und Mann ihnen in der Geschichte des Patriarchats stets zum Nachteil gereicht hat.

 

Wir könnten den jungen Frauen darauf sagen, dass wir - Frauen und Männer -  zusammen andere Modelle finden können, damit Kinder wieder in Gemeinschaften aufwachsen können, vielleicht sogar in Mehrgenerationsgemeinschaften, statt in Paarbeziehungen, Kinderkrippen, KiTas oder Ganztagsschulen. Wir sollten ihnen auch sagen: Es ist ein großer Verlust für die Menschheit, wenn ihr euren Stolz, eure Würde als Mütter der Welt aufgebt. Wenn ihr, nur um endlich im Patriarchat gleichberechtigt und als vollwertige Mitglieder anerkannt zu werden, alles Mütterliche leugnet und opfert. Könnten wir nicht „Mutter“, „Groß-Mutter“ und „Tochter“ anders denken lernen? Zum Beispiel von modernen matriarchalen Gesellschaften, in denen Frauen als Mütter die Ländereien und Häuser besitzen – nicht eigennützig, wie wir Besitz verstehen; in denen Frauen als Mütter die Finanzen verwalten und die Ökonomie in den Händen halten; in denen Kinder immer zu ihrem mütterlichen Ursprungsklan gehören; in denen Frauen als Mütter den Männern (Onkeln, Brüdern, Söhnen, Erzeugern ihrer Kinder, Liebsten) sagen, was diese tun können (und diese das auch gern tun, denn auch sie sind in ihrem Clan immer gut versorgt); in denen Frauen als Mütter nie auf die Mithilfe eines einzelnen Ehemannes/Partners angewiesen sind, weil sie zusammen mit ihren Großmüttern, Müttern, Tanten, Onkeln und Geschwistern leben und wirtschaften und ihre Kinder großziehen können und in denen Frauen als Mütter die Führenden und Lehrenden sind, die das Leben gestalten – zum Wohle aller. 

Lesetipp

 

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats

320 Seiten, Hardcover, erschienen September 2018, Rowohlt Verlag, ISBN 9783498063634

 

Die wortgewandte Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski kommentiert den Status Quo der Frauen im westlichen Kulturraum mit erfrischender Ironie. So kann auch der Buchtitel ironisch verstanden werden, denn ihre Kritik macht bewusst, dass Frauen trotz mehr als einem Jahrhundert feministischer Bemühungen immer noch in den „Tagen des Patriarchats“ leben. Warum das so ist? Eine Antwort darauf gibt die Autorin nicht. Es liegt an jeder von uns, weiterzudenken und die weitere Orientierung beispielsweise in bestehenden modernen Matriarchaten zu finden.

 

DM/UF; der Artikel basiert auf der Laudatio von Dagmar Lily Margotsdotter am 17.10.17 vor dem Bundesverband der Mütterzentren e. V.,

nachzulesen unter www.matria.de

Fotos: CF; Frühlingswiese: CG; Cover mit freundlicher Genehmigung von Rowohlt Verlag GmbH