Früh übt sich

Prof. Michaela Pühn unterrichtet Klavier an der Hochschule für Musik und Theater in München. Die renommierte Pianistin, die u. a. auch mit den Münchner Philharmonikern, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Bayerischen Staatsorchester spielt, engagiert sich als Frauenbeauftragte der Musikhochschule. Als Tochter einer Klavierlehrerin spielt sie seit ihrem vierten Lebensjahr Klavier. Mit großem pädagogischem Einfühlungsvermögen unterrichtet sie Kinder ab vier Jahren. Die Liebe zur Musik teilt sie mit ihrem Mann, dem Cellisten Prof. Stephan Haack. Das Interview mit Michaela Pühn führte Ursula Fournier.

 

Frau Prof. Pühn, Sie unterrichten mit großem Engagement und einer unglaublichen Geduld bereits sehr kleine Kinder. Ab welchem Alter raten Sie, mit dem Instrumentalunterricht für Kinder zu beginnen?
Das kann man nicht verallgemeinern, denn man muss verschiedene Faktoren berücksichtigen. Zum Beispiel, ob das Kind einen starken, klar entschiedenen Willen für ein Instrument hat.  Wenn im Elternhaus viel musiziert wird, wird der Nachahmungstrieb des Kinds geweckt. Bei manchen Instrumenten muss man warten, bis das Kind ein bestimmtes Wachstum erreicht hat.

Was halten Sie von der in den letzten Jahren so populär gewordenen „Musikalischen Früherziehung“ für Kinder ab zwei Jahren?
Solange Kinder freiwillig und gerne dorthin gehen, schadet es sicher nichts, wenn die Konzentration der Kinder spielerisch geschult wird.
 
Kann dort bereits eine musikalische Begabung erkannt werden?
Erst könnte man es musikalisches Interesse nennen. Nach zwei Jahren Beobachtung wird man die Begabung spätestens spüren. 

Die Fälle, in denen sich eine musikalische Hochbegabung bereits in früher Kindheit zeigt, sind eher die Ausnahme. Wie erkennen Mütter denn, ob ihr Kind für ein Instrument begabt ist, wenn sie selbst dieses Instrument nicht spielen?
Das Kind wird sich durchsetzen und die Eltern überzeugen, dass es ein bestimmtes Instrument spielen möchte. Erfahrene Lehrer spüren eine Hochbegabung und werden das Kind zu Spezialisten weiter vermitteln, damit es entsprechend gefördert wird. Musik findet nicht nur im Kopf statt wie andere Hochbegabungen. Die musikalische Hochbegabung ist sehr bald für alle gut hörbar. 

Viele kleinere Kinder fangen im Kindergarten oder in der Grundschule mit der Blockflöte an. Ist das ein guter Einstieg?
Es ist ein Einstieg, aber eine rhythmische Ausbildung wäre mir noch lieber, die ist auch in der Gruppe besser zu kontrollieren als die Arbeit mit der Intonation. Die Ohren sollten nämlich sehr früh geschult werden. Aber ob eine Blockflötengruppe so ein „Ohrenschmaus ist“? Die wirklich hochmusikalischen Kinder werden das nicht so mögen. Aber die Blockflöte ist besser als gar keine Konfrontation mit einem Musikinstrument. Ein sehr berühmter, längst verstorbener Musikgeschichtsprofessor von mir sprach dabei vom „musikalischen Notholz“. 

Was hilft bei der Entscheidung für das passende Instrument, solange das Kind noch zu klein ist, um sich selbst das Instrument zu wählen, das ihm Freude macht?
Abwarten und dem Kind Angebote zum Kennenlernen bieten. Die Orchester jeder Stadt bieten heute schon ab dem Kindergarten die Möglichkeit an, Instrumente kennen zu lernen und auch selbst auszuprobieren. In der Münchner Philharmonie werden zum Beispiel auch moderierte Kinder- und Jugendkonzerte veranstaltet wie „Der Gasteig brummt“. 

Sollten Mütter besser abwarten, wenn sich ihr Kind noch nicht entscheiden kann, oder selbst ein Instrument für das Kind auswählen?
Auch hier gilt: Nichts forcieren, sondern dem Kind Klangbeispiele geben, bis sein Geschmack getroffen ist. Die Auswahl sollte nicht etwa davon bestimmt werden, dass die Eltern endlich zufrieden sind oder das Instrument sowieso schon im Haus ist, oder die Freundin dieses Instrument spielt, oder weil es leicht zu tragen ist, oder weil es glitzert.
Wie finden die Eltern eine gute Lehrerin oder einen guten Lehrer?
Durch Mundpropaganda oder den Verband der Tonkünstler, über Musikschulen oder private Lehrer. Man kann auch wechseln, da es ein sehr persönlicher Unterricht ist. Die Eltern sollten sich also nicht in zu feste Verträge einbinden lassen. Bei kleinen Kindern ist ein Jahr sehr lang und mit dem unpassenden Lehrer ist die Zeit schnell vergeudet.

Oftmals wird in Schulen Gruppenunterricht für ein Instrument angeboten, der kostengünstig ist. Bringt das etwas?
Ich bin kein Fan von Gruppenunterricht am Klavier, aber aus Kostengründen geht die Entwicklung an den Schulen dahin. Das Klavier eignet sich meiner Meinung nach am schlechtesten dazu. Bläser- und Streichergruppen kann man besser unterrichten, beispielsweise nach der Suzuki-Methode. 

Wenn ein älteres Kind sich ernsthaft für das Klavier entschieden hat, stellt sich oft die Frage, wie viel Übung muss sein, damit es wirklich gut spielen lernt? Sollen Mütter es dem Kind eher selbst überlassen, wie viel es üben will?
Je nach Alter, Begabung und manueller Fertigkeit wird sich die Übe- und Spielzeit am Klavier steigern. Das „Dahinter-Sein“ wird nicht ausbleiben können, außer bei Hochbegabten, denen werden Sie das Instrument eher verbieten müssen. Oft ist statt Übedruck ein großes Interesse der Eltern am Ergebnis ausreichend, anstatt nur die Übezeit zu kontrollieren. Die Lehrerin oder der Lehrer sollte diesen Übedruck steuern können und gegebenenfalls in Abwesenheit des Kindes mit den Eltern Absprachen treffen. Falsches Üben ist mindestens so schädlich wie wenig üben! Schumann sagte beispielsweise: „Klimpere nie!“ 

Jüngere Kinder haben oft weniger Probleme mit dem Vorspielen als ältere, die aber schon viel mehr können. Vor allem in der Pubertät wird Kindern viel „peinlich“. Wie wichtig ist es, beispielsweise bei Schulkonzerten zu spielen?
Das Vorspielen sollte von klein auf lockerer Teil des Musikunterrichts sein. Bläser und Streicher haben den Vorteil, in Gruppen auftreten zu können, denen wird es dann auch in der Pubertät nicht „peinlich“. Am Klavier ist man bis zu einem gewissen Niveau erst mal Einzelkämpfer. Jede Form des Vorspiels sollte dem Kind oder Jugendlichen als Herausforderung dienen, sein erarbeitetes Werk vorstellen oder zu Gehör bringen zu dürfen. Leider bieten die Medien allzu oft „persönliche Zur-Schau-Stellungen“ anstatt Normalität und Verständnis für die dahinter steckende Arbeit, bis ein Stück vorspielreif ist. 

Es heißt, beim Klavierspiel würden die Gehirnhälften ausbalanciert. Dies sei sehr förderlich für die Entwicklung der Kinder. Die heilsame Wirkung von Musik ist auch bekannt. Sollte man Kinder also auf jeden Fall musikalisch fördern, auch wenn sie kein besonderes Interesse an einem Instrument zeigen? Wie beim Sport gibt es ja manchmal auch Mütter, Väter oder andere Verwandte, die das Kind aus eigenem Ehrgeiz zu einer Musikkarriere bringen wollen.
Die Gehirnhälften werden nicht nur beim Klavierspiel ausbalanciert, sondern bei anderen Musikinstrumenten auch. Das stimmt alles, aber wie auch bei der sportlichen oder naturwissenschaftlichen Förderung eines Kindes werden sich je nach Begabung auch Grenzen auftun, die aber auch später wieder überschritten werden können. Ein gesundes „Zum Glück zwingen“ wäre meines Erachtens sinnvoll. Wie oft höre ich doch von Erwachsenen: „Hätte ich doch nur früher mehr geübt oder überhaupt spielen dürfen!“
Der Stargeiger David Garrett sagte einmal in einem Interview, bei dem seine Mutter neben ihm saß, seine Eltern hätten ihm viel von seiner Kindheit gestohlen, aber heute sei er ihnen sehr dankbar. Wer ein Instrument gut spielen will, muß viel üben. Ist das der Preis für den späteren beruflichen Erfolg?
Bei der Musik – oder auch im Sport oder Eiskunstlauf – ist das sicher ein bisschen der Preis, aber doch nur für die wenigen Stars, und auch diese formulieren dies nicht immer als „Verlust“. Die Mehrheit gewinnt mit der „normalen“ musikalischen Ausbildung an einem „Lieblingsinstrument“ im Leben ungeheuer mehr dazu, und dies wesentlich langlebiger als beim Sport. Wie könnten sonst so viele bis über 80jährige begeistert miteinander Kammermusik spielen und im Geist fit bleiben? 

Frau Prof. Pühn, ich bedanke mich sehr herzlich für das interessante Gespräch und wünsche Ihnen noch viel Erfolg und Freude mit Ihrem wunderbaren Beruf. 

UF/Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Prof. Michaela Pühn; unten CF
Das Interview mit Prof. Stephan Haack über den Streichinstrumente-Unterricht finden Sie hier