Schon im Jahre 1998 wurde ein mit dunkelroten Punkten bemalter Stein aus der Altsteinzeit in der Karsthöhle „Hohle Fels“ in der Schwäbischen Alb gefunden. Bis 2010 kamen weitere Funde hinzu – ein Rätsel für die Archäologen. Durch ihren Hintergrund der Erforschung vorpatriarchaler Frauengeschichte gelang es Gabriele Uhlmann jetzt, erstmals das Geheimnis der Steine zu entschlüsseln und sie mit einem Krötenkult in Verbindung zu bringen.
Im zeitigen Frühjahr verlassen die Erdkröten massenweise ihren angestammten Lebensraum, die Wiesen, Laubwälder und Hecken, und machen sich auf den Weg zu einem ruhigen Gewässer in der Nähe. Auf dem Rücken tragen sie meist eine kleinere Kröte mit sich. Die kleineren Kröten geben manchmal ük-Laute von sich, besonders dann, wenn sich eine andere kleinere Kröte irrtümlich an ihnen festklammert. Dann gibt es schon mal eine kleine Rangelei. Es ist das Männchen, das sich mit aller Kraft an das Weibchen klammern muss, es ist daher auch das kleinere Geschlecht. Kaum bekannt ist, dass es mehr Männchen als Weibchen gibt, und sie sich daher gegen jede männliche Konkurrenz durchsetzen müssen.
Während das Weibchen also samt männlichem Gepäck um Pflanzen-stängel herumschwimmt, wickelt es lange Doppelschnüre aus durchsichtiger Gallertmasse darum, die es aus ihrem Hinterteil presst. Darin sind in Reih und Glied schwarze Kügelchen eingebettet, das Ganze sieht wie doppelreihige Perlenketten aus. Es handelt sich um die Eier, den Laich, aus dem später wie auch bei den Fröschen Kaulquappen schlüpfen werden. Während das Weibchen den Laich befestigt, formt das Männchen mit den Hinterbeinen eine Art Trichter und entlässt sein Sperma ins Wasser, welches sogleich mit den Eiern in Kontakt gerät. Von der Zeugung ist daher außer vielleicht etwas Eintrübung nicht viel zu sehen. Nach dem Laichen lässt das Männchen seine Trägerin los und beide verlassen das Gewässer wieder in Richtung der trockenen Gefilde. Im Winter graben sie sich in die Erde ein, bevor sich das Ganze wiederholt, sollte kein weiterer Frühling à la 2013 dazwischen kommen. In diesem Fall bildet sich die sogenannte Eianlage im Leib des Weibchens zurück und die Kröten, die übrigens 10 Jahre alt werden können, müssen es im nächsten Jahr wieder probieren. Kröten versuchen zum Laichen ihr Geburtsgewässer zu erreichen. Das komische Schauspiel vollzieht sich seit Jahrhunderttausenden immer auf die gleiche Weise. Wie schon immer und überall in der Tierwelt wählt das Weibchen (female choice), das Männchen muss sich anstrengen aufzufallen und in diesem Fall nicht abzufallen. Ein Mensch, der einen anderen Erwachsenen tragen muss, kommt im Alltag zum Glück nicht so oft vor, höchstens in Notsituationen oder in Märchen, in denen ein Buckelgeist oder Aufhocker, also ein Untoter oder Wiedergänger seinem Träger das Leben schwer macht. Frauen tragen, wenn überhaupt einen anderen Menschen, dann ein Kind, das noch zu klein zum Laufen ist, das müde geworden ist oder sich ängstigt. Im Patriarchat Europas trägt der Bräutigam seine Braut über die Schwelle, weil angeblich böse Geister dort lauern, die dem Paar schaden. Wahrscheinlich aber ist darin der Gewaltakt ritualisiert, der Frauen einst in die Patrilokalität zwang.
In den Höhlen mit Spuren menschlicher Aktivität in der Altsteinzeit wurden weibliche Darstellungen gefunden, Statuetten und Reliefs von Frauen und Vulven. So vollständig sie auch zum Zeitpunkt des Fundes sein mochten, den Statuetten fehlen immer die Füße. Jede ist perspektivisch verzerrt dargestellt und gleicht fast immer dem Spiegelbild, das eine Frau von sich im Wasser erblickt. Es fällt auf, dass Höhlen mit Kultbildern sich immer nah am Wasser befinden oder ein Bach sie durchfließt. Sie weisen immer eine besondere, Vulva-förmige Öffnung auf. Auch die Karsthöhle „Hohle Fels“ in der Schwäbischen Alb erfüllt alle Bedingungen, die eine Kulthöhle ausmachen. Sie befindet sich in einer schroffen Felswand unweit des Flüsschens Ach, welches durch das Tal der eiszeitlichen Urdonau fließt. Seit Jahrzehntausenden bietet das Feuchtgebiet der Erdkröte Lebensraum. Die bekannten Warnschilder sind zur Zeit der Krötenwanderung an der vorbeiführenden Bundesstraße 492 bei Schelklingen aufgestellt. Müsste nicht auch in der Höhle irgendetwas zu finden sein, was mit der Kröte zu tun hat?
Im Jahre 2008 wurde hier eine weibliche Statuette (35.000 bis 40.000 Jahre alt) gefunden und als die älteste „Venusfigurine“, als „Venus vom Hohle Fels“, gefeiert. Sie stellt unverkennbar ein weibliches Wesen dar, ist aber weit weniger naturalistisch dargestellt als jüngere Statuetten der Altsteinzeit. Sie ist so eigenartig, dass sie schon mit Spott überhäuft wurde, nicht ohne, dass es im Jahre 2010 zu einem Aufschrei unter Forscherinnen und anderen interessierten Menschen kam, die den nötigen Respekt und die Bezeichnung „Urmutter“ einforderten (Wir berichteten.).
2008 bis 2010 wurden im Hohle Fels vier weitere Steine gefunden, die ebenfalls mit solchen Punkten bemalt waren. Die Punkte werden nun als die früheste Höhlenmalerei Deutschlands (ca. 15.000 Jahre alt) gefeiert, weil sie aufgrund der sorgfältigen Arbeit endlich sicher datiert werden können. Chefausgräber Prof. Nicholas Conard forderte über die Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ (1/2012, S. 5) dazu auf, „natürlich ganz spekulative“ Interpretationen zu liefern, hätten sie doch „keine Ahnung“, was die Punkte bedeuten. Es könne sich aber vielleicht um die „Buchhaltung erlegter Tiere“ oder um einen „Kalender“ handeln. Prof. Harald Floss, Kollege Conards, sagte in einem Interview der Welt-online: “Aber es gibt auch Deutungen, wonach die Punkte Wege bemessen haben, die Gruppenidentität unterstreichen oder man mit ihnen etwas gezählt hat, vielleicht sogar im astronomischen Sinne. Die Rede war sogar von einem Menstruationskalender. Ich halte diese Deutungen derzeit für spekulativ bis abstrus...“ Dieser Kommentar ist typisch für viele Äußerungen zu altsteinzeitlichen Artefakten. Einerseits tut man so, als suche man fieberhaft nach des Rätsels Lösung, anderseits wird ausnahmslos alles abgetan und besonders dasjenige als „abstrus“ abgestempelt, was die Objekte in weiblich-spirituellen Zusammenhang stellt. Ist gerade diese Deutung äußerst plausibel und auch gefährlich? Floss hält sich lieber zurück: „Sie mögen mich für hasenfüßig halten, aber ich will nicht wild mutmaßen.“ Dabei ist es geblieben, eine offizielle Interpretation wurde bis dato nicht vorgelegt.
Meine Interpretation lässt sich durch viele kulturhistorische Vergleiche weiter verifizieren. Punktreihen, mehr oder weniger parallel gemalt, sind nicht auf die Höhlen Süddeutschlands beschränkt. An den Wänden der Cueva de El Castillo/Nordspanien beispielsweise sind die Reihen nicht gedoppelt, und im Zusammenhang mit den ebenfalls abgebildeten Gitterstrukturen, könnte es sich um die Darstellung des Río Pas, der unterhalb der Höhle fließt und der auch die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) und andere Amphibienarten beherbergt, handeln, sowie um Reusen für den Fischfang. Bei den in der Höhle ebenfalls gefundenen Handabdrücken handelt es sich um die ältesten Malereien Europas (40.000 Jahre), die global gesehen nur von bemalten Eierschalen aus Afrika (70 - 100.000 Jahre alt) übertroffen werden.
Ein eigenartig geformtes Elfenbeinamulett stammt aus der Höhle Brynzeny I an einem Nebenfluss des Pruth (Briceni / Moldavien, frühestes Jungpaläolithikum), das bis heute nicht zufriedenstellend interpretiert ist. Vorgeschlagen wurde ein Fisch, wogegen jedoch spricht, dass die vermeintliche Flosse (oder „Schaufelblatt“) dann um 90° verdreht und damit falsch angebracht wäre. Der Prähistoriker Prof. Gerhard Bosinski (1982, S. 19) vermutete bereits, dass sich die Öse möglicherweise nicht am Kopf, sondern am hinteren Ende befindet, wie auch bei Pferde- und Mammut-Amuletten ähnlicher Zeitstellung, bei denen das Hinterteil durchbohrt ist und der Kopf daher nach unten hängt. In diesem Sinne und mit den neuen Erkenntnissen über die Punktreihen, die auch hier zu sehen sind, lässt sich das Objekt meiner Ansicht nach nun viel schlüssiger als Kaulquappe interpretieren.
Auch in Frankreich, beispielsweise in der südfranzösischen Höhle Mas d’Azil, wurden mit Punkten bemalte Kieselsteine (Azilien, ca. 14.300 bis 11.600 Jahre v.h.) gefunden. Diese Höhle, die seit dem Aurignacien aufgesucht wurde, wird von dem Fluss Arize durchflossen. Gefunden wurden auch Harpunen, eine weibliche Statuette und eine Schädeldeponierung auf einem Podest. Die Höhle wird heute auch von einer Autostraße durchquert. Ob eines Tages auch eine Straße durch den Petersdom führt? Auch wenn daneben immer wieder Mammut-, Pferde- oder Rentierdarstellungen vorkommen, ist in den Höhlen eine nicht von der Hand zu weisende Kontinuität der Heiligung des Wassers und seiner Bewohner zu beobachten, auffällig häufig in Kombination mit dem Löwen. Aber Wassertiere und Katzenartige, die doch dafür bekannt sind, besonders wasserscheu zu sein, scheinen nichts gemeinsam zu haben. In der Kulturgeschichte tauchen Frosch und Löwe jedoch nicht nur häufig, sondern auch in gemeinsamen Kontexten auf.
Die Befunde, die einen sakralen Bezug zum Wasser herzustellen vermögen, bestärken auch meine Überzeugung, dass die Eiszeitmenschen der entsprechenden Zeitabschnitte eher keine „Jäger“ waren, wie es oft zu lesen ist, sondern Sammler und Fischer, die auch jagten. Die Eiweißversorgung war durch tägliches Fischen viel zuverlässiger gesichert als durch das Jagen von Großwild. Fischen und Muschelsammeln sind Tätigkeiten, die bei rezenten Wildbeuter-gruppen häufig von Frauen ausgeführt werden. Das Sammeln von Pflanzen wird sogar fast ausschließlich von Frauen erledigt, so dass sie es sind, die den „Löwenanteil“ der Nahrung beschaffen. Beim Krötenkult ging es nicht - wie später in patriarchaler Zeit - um die Fruchtbarkeit der Frau, die möglichst viele Kinder zu gebären hatte, sondern um die Schöpferkraft der Urmutter, die dafür sorgte, dass es Frühling wurde.
Zur Autorin: Gabriele Uhlmann ist Patriarchatsforscherin, Autorin, Webdesignerin und Mutter von zwei Kindern und lebt in Braunschweig. Sie hat an Ausgrabungen in Deutschland teilgenommen und
befasst sich seit vielen Jahren umfangreich mit der neolithischen Grabungsstätte Çatal Höyük in Anatolien.
Das Buch von Gabriele Uhlmann "Archäologie und Macht – Zur Instrumentalisierung der Ur- und Frühgeschichte" ist bei Books on Demand erschienen (ISBN 978-3-84481-420-0). Weitere Informationen
finden Sie unter www.gabriele-uhlmann.de
Literatur
Archäologie in Deutschland 1/2012, S. 5: Höhlenmalerei. Rote Punkte im Magdalenien.
Blaffer Hrdy, Sarah: Mütter und andere. Berlin 2010
Bosinski, Gerhard: Die Kunst der Eiszeit in Deutschland und in der Schweiz. Bonn 1982
Brock, William H.: Viewegs Geschichte der Chemie. Springer 1997
Conard, Nicholas J.; Floss, Harald: Ein bemalter Stein vom Hohle Fels bei Schelklingen und die Frage nach paläolithischer Höhlenkunst in Mitteleuropa. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 29, 1999. S. 307
Eiszeit – Kunst und Kultur. Katalog zur großen Landesausstellung BW, Stuttgart 2009 (Mit roten Punktreihen bemaltes Geröll, Kleine Scheuer, Abbildung Seite 313 oben)
Gimbutas, Marija: Die Zivilisation der Göttin, Frankfurt a.M. 1996 (am. Originalausg. 1991)
Junker, Thomas: Geschichte der Biologie. München 2004
Kolle, W.; von Wassermann, A. Hrsg. unter Mitwirkung von R. Abel [et al.]: Handbuch der pathogenen Mikroorganismen. Jena 1912
Wiese, Andre: Die Anfänge der ägyptischen Stempelsiegel-Amulette. Eine typologische und religionsgeschichtliche Untersuchung zu den ’Knopfsiegeln’ und verwandten Objekten der 6. bis frühen 12. Dynastie. Freiburg/Schweiz und Göttingen 1996