Mängelerkennung in Familienrechtsgutachten

In der Gesprächsrunde sitzen Esther (39), Vivian (42), Maren (50) und Rolf (53)*. Sie tauschen sich über die Erfahrungen aus, die sie in ihren Scheidungsverfahren gemacht haben. Wenn das Sorgerecht und der Umgang strittig sind, wird in manchen Fällen ein Familienrechts- oder psychologisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, um die Frage des Sorgerechts und des Umgangs zu klären. Obwohl vom Gericht bestellt, muss das Gutachten von den Parteien bezahlt werden. „Da kommen locker mal 5000 Euro zusammen, wenn nicht gar mehr, sagt Vivian. „Obwohl die Qualität unseres Gutachtens äußerst fragwürdig war.“ 

 

Jeder möchte wissen, was die anderen Familien bei der angeordneten „Begutachtung“ erlebt haben, die eigentlich eine freiwillige Angelegenheit ist. Doch wer nicht mitmacht, hat schlechte Karten. Das gilt auch für die Schweigepflichtentbindung, die einem vorher abgenommen wird. 

Esther (Mutter von fünf Kindern) ergreift das Wort: „Ich wurde als erstes vom Gutachter „begutachtet“. Die Kinder wurden nicht einmal vom Gutachter gesehen. Der Vater log ihm das Blaue vom Himmel vor, was natürlich keiner überprüfte. Dementsprechend fiel dann auch das Gutachten aus. Der Vater sei hilfsbereit, könne sich gut in andere Menschen hineinversetzen und sein Gewaltpotential läge unter der Norm. Er sei also erziehungsfähig und ihm sei ein uneingeschränktes Umgangsrecht zu gewähren.“

 

Sachverständigengutachten sind Interpretationssache eines einzelnen Gutachters und für die betroffenen Mütter oft sehr demütigend. Ihre Kinder sind angeblich „auffällig“, selbst wenn der Mutter, aber auch niemandem im Freundeskreis, im Kindergarten oder in der Schule noch nie etwas Ungewöhnliches am Verhalten der Kinder aufgefallen ist. „Wenn dein Kind zu den Klassenbesten gehört, heißt es im Gutachterjargon, „es kompensiere durch übertriebenen Ehrgeiz““, erinnert sich Vivian (Mutter von zwei Töchtern). „Und dir als Mutter kann ganz leicht angehängt werden, dass mit dir etwas nicht stimmt.“ 

 

Maren (ein Sohn) schüttelt den Kopf: „Das erste Gespräch mit mir begann der Gutachter mit dem Satz: „Lieber ein Arschloch als Vater, als kein Vater.“ Dieser Gassenjargon wäre verständlicher für sie gewesen, „wenn ich damals gewusst hätte, dass der psychologische Sachverständige, den ich für einen Fachmann hielt, ein gerade umgeschulter Handwerker war.“ Betroffen macht der Bericht von Rolf, der Maren und ihren Sohn zu einem sogenannten Interaktionsbeobachtungstermin begleitete. Bei diesem Termin sollen das Kind in Kontakt mit dem Vater vom Gutachter in dessen Geschäftsräumen beobachtet werden. Die Situation war für den Jungen eine schreckliche Tortur. Rolf erinnert sich: „Wir befanden uns in einem Wartebereich, in der eine ältere Dame saß. Dann kam der Gutachter und erklärte dem Kind ohne lange Umschweife, dass im Spielzimmer jemand auf es warte. Ob es jetzt mit ihm dorthin gehen möchte, um zu spielen? Das Kind schüttelte den Kopf. Der Mann darauf: "Dort unten wartet dein Papa. Willst du ihn sehen? Das Kind antwortete für alle klar vernehmbar: „Nein, ich will nicht.“ Es drückte sich fest an die Mutter, auf deren Schoß es saß. Die Mutter hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht in das Gespräch eingemischt, aber es war ihr sichtlich unangenehm, dass hier in aller Öffentlichkeit auf ihr Kind eingeredet wird und höchst private Dinge vor Publikum ausgebreitet wurden. Sie fragte daraufhin den Gutachter, ob es notwendig sei, dies in aller Öffentlichkeit zu besprechen. Die ältere Dame, die unfreiwillig Zeuge dieser Szenen war, bot von sich aus an, den Warteraum zu verlassen. Der Gutachter erwiderte darauf unwirsch: „Nein, nein. Sie brauchen nicht zu gehen. Dies hier ist ein Warteraum und für alle da.“

 

Er fuhr daraufhin fort, auf das Kind einzureden und versuchte, es zu überzeugen, dass es doch in das Spielzimmer gehen möge, um dort den Vater zu sehen. Er ging mit keinem Wort auf den Wunsch der Mutter nach einem geschützten Rahmen oder auf das Nein des Kindes ein. Die ältere Dame verließ nach einiger Zeit den Warteraum, sichtlich peinlich berührt. Das Kind klammerte sich ängstlich an die Mutter, während der Gutachter unentwegt auf es einredete und seine Grenzen völlig ignorierte. Bei dem Psychoterror, den der Mann auf den Kleinen ausübte, war es kein Wunder, dass er schließlich zu weinen anfing.“ Rolf bat den Gutachter dann um eine kurze Unterredung: „Der Gutachter erklärte mir, es sei normal, dass das Kind Angst hat. Die Mutter hingegen verhalte sich problematisch, da sie das Kind nicht auffordere, dem Vater zu begegnen. Das würde er dem Gericht berichten. Ferner würde er dafür Sorge tragen, dass das Kind von einer fremden Person vorgeführt werde, wenn dieser Versuch scheitere. Meine Bemerkung, dass es wohl natürlich sei, dass die Mutter das verängstigte Kind in dieser Situation beschützen wolle, tat er kurz ab.“ Was schließlich dabei herauskam, schildert Maren: „Der Sachverständige drohte mir, „das Kind vorführen zu lassen, wenn ich es nicht dazu bringe, in den Raum mit dem Vater zu gehen und mein Verhalten dem Gericht zu melden“. Ich beruhigte meinen Sohn daraufhin, dass ich mit ihm zusammen in den Raum gehe und bei ihm bleibe. Erst dann war er war er bereit zu der Begegnung. Das passte dem Gutachter zwar nicht ins Konzept, aber er konnte nichts dagegen machen.“Maren liest vor, wie diese Situation im Gutachten wiedergegeben wurde: „Mein Sohn, der Zeuge – also Rolf -  und ich hätten uns in einem „Zimmer, das der Sachverständige dafür bereit gehalten hatte“ aufgehalten. Es hätte dann „eine sukzessive Annäherung zwischen A. und seinem Vater“ statt gefunden. Auch die Szene im Spielzimmer wurde völlig verdreht wiedergegeben, um einen entsprechenden Eindruck zu erwecken. Der Gutachter hatte uns Knete angeboten. Wir kneteten einen Siebenschläfer aus unserem Garten. Ab und zu bat der Vater um ein Stück Knete und machte auf seine Knetobjekte aufmerksam. Mein Sohn war aber mehr mit seinem Siebenschläfer beschäftigt, schob ihm aber höflich die gewünschte Knete hinüber.“ Im Gutachten heißt es dann dazu: „Herr L. und A. berührten sich an den Händen.“

 

Inzwischen gibt es öffentliche Kritik an Instituten gibt, die wegen fehlerhaften Begutachtungen aufgefallen sind. Auch qualifizierte Fachleute warnen vor den Mängeln psychologischer Gutachten. Auch in Hinblick auf die dabei verwendeten Testverfahren, deren Gütekriterien oftmals nicht gesichert sind. Die Testergebnisse erfüllen häufig keine hinreichende Aussagegültigkeit und bewegen sich im Rahmen der Spekulation. Die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen sind oftmals nicht nachweislich gültig, zuverlässig und objektiv. „Betroffene sollten sich deshalb gut darüber die Gütekriterien der Tests – Objektivität (Unabhängigkeit vom Untersucher), Reliabilität (Zuverlässigkeit), Validität (Gültigkeit) und Normierung (Vergleichsmaßstäbe) - informieren“, meint Vivian. Esther zieht aus den eigenen Erfahrungen den Schluss: „Es müsste Kontrollmöglichkeiten geben oder die Chance, sich gegen ein fehlerhaftes Gutachten zu wehren. Denn wenn das Gutachten erst mal fertig ist, beziehen sich die Gerichte in ihren Beschlüssen auf das Gutachten. Der Gutachter ist fein raus. Er kann sagen, er hat ja nur eine Empfehlung abgegeben, der das Gericht ja nicht folgen müsse. Und die Richter verstecken sich hinter dem Gutachter.“ Auf diese Weise kommen alle mit heiler Haut davon – nur nicht die Familien.

 

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert. UF/Foto: CG